26 Jahre Deutsche Einheit – Grußwort des Landrates Dr. Werner Henning

Liebe Bürgerinnen und Bürger,

Die 26. Wiederkehr des Jubiläumstages der Deutschen Einheit ist mir Veranlassung, ebenso dankbar zurück, wie besorgt nach vorn zu schauen. Trotz aller überwundenen wie anhaltenden Alltagsprobleme dürfen wir konstatieren, in einer wohl vergleichsweise erfüllten Zeit leben zu können. Sehr vieles ist in einem Maße gut geworden, wie wir uns hiervon vor vielen Jahren in keiner Weise hätten ein Bild machen können. Ungeachtet dessen begegnen uns natürlich auch heute Einzelschicksale, denen es schwer fällt, ein solches übergreifendes positives gesamtgesellschaftliches Bild zu teilen. Aber auch hierfür gibt es besondere Gründe, die sich nur bedingt über gesellschaftliche Antworten beheben lassen und dennoch auch Aufgabe für die Allgemeinheit bleiben.

Was mich aber umtreibt, ist auch ein bei uns zu verspürender Trend, vorhandenen Fragen und Diskussionslagen mit holzschnittartigen und schnellen Antworten zu begegnen. Sorgen bereiten mir dabei weniger die Sachfragen an sich, als vielmehr deren emotionale Bewältigung. Natürlich sind die sich auftuenden Probleme angesichts der Flüchtlingskrise oder auch der individuellen Auseinandertrift der Gesellschaft beträchtlich – gehören aber auch weithin zu den Begleiterscheinungen einer sich schnell globalisierenden und bevölkerungsexplodierenden Welt. Erschrocken macht mich vielmehr die rasante Auflösung vieler erzieherischer Tabunormen, welche bisher einen gewissen Stil im Umgang mit schwierigen Themen geprägt haben. Ich meine damit insbesondere den Tonfall und die Wortwahl, mit der beispielsweise Flüchtlingsbelange oder auch sexuelle Minderheitenthemen in einen öffentlichen Fokus gerückt werden. Letztendlich geht es dabei auch gar nicht um die Frage, ob die darin beschriebenen Sachverhalte so zutreffend sind oder auch nicht. Mich erschreckt es vielmehr, wie schnell und leicht es neuen politischen Gruppierungen – wohl auch im Eichsfeld – fällt, auf tatsächlich gegebene schwierige Sachverhalte, mit einfachen und schrillen Formeln, einen breiten Beifall zu erzielen. Was mir in Sprache und Gesamtauftreten als eine Verrohung der Sitten auffällt, wird dann mit Berufung auf Demokratie und Freiheit gerechtfertigt.
Andererseits ist es aber auch für die etablierten politischen Kräfte dauerhaft zu wenig, die nicht ins Bild passenden Themen einfach auszublenden oder die gewünschten und wenig überzeugenden Antworten ständig zu wiederholen. Wenn die alten Politikformate noch wirksam bleiben wollen, dann müssen sie in ihrer gesamten erzieherischen und fachlichen Kompetenz deutlich zulegen. Vermögen sie das - im Sinne von mehr Qualität- nicht, schaffen sie sich selbst ab und überlassen das Feld schrilleren und wohl auch gefährlicheren Kräften.
Hiervon ganz unabhängig möge sich aber auch ein jeder selbst im Spiegel seiner eigenen Erziehung fragen, inwieweit er sich den Anschluss an eine solche Verrohung gestattet, um damit vieles von dem aufzugeben, was man althergebracht mit Anstand und gutem Benehmen umschrieben hat. "Sage mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist" - dieser alte Spruch ist zeitlos und gilt nach wie vor fort - ebenso die alte Lebensweisheit "Trau, schau, wem". Den Schreiern nachzulaufen war und ist jedenfalls nie gut - weder vor 75 Jahren, vor 50 Jahren, vor 25 Jahren - noch heute. Stark gemacht habe uns eher eine tiefgründige Gewissenserziehung und eine Scham vor unangemessenem Verhalten. Nur hiermit haben wir uns vor einem Zuviel an Zeitgeist geschützt, woraus sich in guten Zeiten gleichfalls Wohlstand wie Geborgenheit als positives Lebensgefühl generieren ließen.
Für das Eichsfeld wünsche ich mir allenthalben den Erhalt einer wertgeschätzten Kultur im Umgang aller miteinander. Ohne dieses hohe Gut verblassen alle Zugewinne der zurückliegenden 26 Jahre erlebter Deutscher Einheit beträchtlich. Dass dieses nicht geschieht, ist auch weiterhin mein Wunsch an uns alle für diesen so denkwürdigen Tag.

Ihr
Dr. Werner Henning

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